Mittwoch, 8. Januar 2014

Erste Schritte zum Randonneur

In den letzten Nächten war ich mir nicht sicher, ob es klappen würde. Habe ich mir zu viel vorgenommen? Meine Form ist ganz passabel, seit Mitte März kann ich mich zum Radfahren aufraffen. Hundert Kilometer halte ich gut durch, mit mehr habe ich kaum Erfahrung. Meistens habe ich aufgehört, wenn sich Hände, Hintern oder Rücken bemerkbar machten. Gut eingeteilt, sollte auch eine längere Beanspruchung möglich sein.

Lässt sich die Herausforderung gemeinsam mit Claudia erreichen? Dieses Frage kam kurzfristig dazu. Ich hatte Claudia von meinen Plänen erzählt und sie gefragt, wie sie darüber denkt. Dass sie sich dann aber eine Woche vorher noch anmeldet, hatte ich nicht gedacht. Nun geht es also nicht mehr nur um mein Durchhaltevermögen, sondern auch um ihres. Meine Gedanken wandeln nicht um meine eigene, sondern um die Vereinbarkeit unserer beider Ausdauer. Brauchen wir eine Taktik? Unsere Abmachung besagt, dass wir zusammen bleiben, solange keiner aufgibt. Das kommt auch gar nicht in Frage: unbestritten ist Claudia fit genug, um die Fahrt körperlich durchzuhalten. Wir fahren gemeinsam.

Das präparierte Pinarello vor dem Mannheimer Schloß
Wir sitzen im Zug nach Bonn. Meine morgige Herausforderung ist mein erster Brevet. Die Vorgabe dieses Brevets sind 200 Kilometer, der Startort ist Troisdorf zwischen Köln und Bonn. Noch nie bin ich an einem Stück so weit gefahren.

Früh aufstehen heißt es an diesem zweiten Aprilsamstag, um acht Uhr soll es losgehen. Am Start gibt es Randonneure und ihre Räder zu bestaunen. Wir bekommen unsere gelben Stempelkarten ausgehändigt und warten bis alle da sind. Wir rollen mit der zweiten Startgruppe los, die aus etwa 30 Fahrern besteht, und schieben uns unaufgeregt über die ersten Kilometer. Vorne zieht das Tempo langsam an, die Gruppe zerstreut sich. Wir bleiben bei den schnelleren, doch als der erste Anstieg kommt, zersprengt sich auch dieser kleine Haufen. Das auf dem Asphalt liegende Regenwasser setzt Schmutz im Getriebe an, doch von oben bleibt es trocken.

Auf ebenen Straßen sammeln wir erst einen und dann einen zweiten Fahrer auf, die wir hinter uns anheften. Es läuft, und ich ziehe uns durch die ersten Anzeichen des Bergischen Lands. Claudia und ich treten flott die Hügel hoch, und in leichtem Auf und Ab geht es nach Wermelskirchen zur ersten Kontrollstelle. Die Dame an der Tankstelle stempelt, unterschreibt und notiert die Uhrzeit auf unseren Kontrollkarten. 55 Kilometer geschafft!

Einen Riegel gegessen und ausgestattet mit frischen Getränken ziehen wir zu zweit weiter. Das Auf und Ab setzt sich fort. Wir wissen, dass an der zweiten Kontrollstelle in Lüdenscheid die Hälfte geschafft ist, und dass dort eine Pizzeria auf uns wartet. Der Anstieg nach Lüdenscheid auf einer ruhigen Straße bietet viel fürs Auge, aber auch viel für die Beine. Unter dem weiterhin grauen Himmel steigen wir an der Pizzeria direkt gegenüber der Tankstelle ab. Ganz nach Plan bestellen wir uns Pizza und Pasta und pausieren. Die 100 Kilometer sind nicht spurlos an uns vorbei gegangen, aber wir sind zuversichtlich, dass wir weiter können. Wir rollen rüber zur Tankstelle und holen unsere verdienten Stempel ab. Dann geht es weiter: Der geographische Höhepunkt des Brevets steht kurz bevor.

Kurz nach Lüdenscheid kommt die von Organisator Rainer Paffrath angekündigte Umleitung wegen einer Brückensperrung. Sie erklimmt den "Berg" von der anderen Seite, und von dort zeigt das stetige Auf und Ab des Höhenprofils tendenziell nach unten. Nach dem Anstieg beginnen meine Beine sich über die angesammelten Höhenmeter zu beschweren. Die vielen kleinen Hügel fordern ihren Tribut, auch Claudia ist nicht mehr so flott unterwegs. Größtenteils fahre ich vorne. Dass die nächste Kontrollstelle schon bei Kilometer 135 in Drolshagen liegt, gibt uns einen Motivationsschub. Am Ortseingang an der nächsten Tankstelle heißt es stempeln, essen, trinken. Dort treffen wir endlich wieder auf einen Randonneur. Er ist mit seinem Ersatzrad unterwegs und fährt damit nach eigener Aussage "langsam". Man sieht ihm seine Brevet-Erfahrung geradezu an. Zu dritt rollen wir weiter.

Wir sind endlich nicht mehr zu zweit unterwegs, und wir haben schon viel geschafft. So lange sind wir noch nie an einem Tag mit dem Rad gefahren. Doch nun kommen allerlei Wehwehchen zusammen. Hintern, Rücken, Hände, Füße würden gerne pausieren. Das Tempo sinkt merklich, und bis zum Ziel ist keine Kontrolle mehr in Sicht. Immerhin kommt die Sonne raus, und die Temperaturen steigen auf zweistelliges Niveau. Claudia und ich beschließen, noch eine Pause einzulegen; bei Kilometer 165 lassen wir unseren Mitstreiter ziehen. Ein schwerer Schritt, doch der ruhiger werdende Körper belohnt die Entscheidung sofort. Noch ein paar Salzbrezeln, Riegel, Getränke.

Es ist nicht mehr weit, und wir haben keine ernsthaften Beschwerden. Also weiter. Spaß macht es nun aber nicht mehr. Ich ziehe mich und Claudia über die Hügel, und auch in der Ebene wollen die Beine nicht mehr so richtig. Ich versuche mich auf das Vorüberziehen der schönen Landschaft, der sauerländischen Dörfer und Höfe zu konzentrieren, doch die Luft ist raus. Auf dieser Straße sind wir heute morgen in Gegenrichtung gefahren, zum Ziel ist es also nicht mehr weit.

Um 19 Uhr kommen wir an, 11 Stunden waren wir unterwegs. Mir scheint, dass alle anderen vor uns angekommen sind, wir treffen auch den Randonneur von der dritten Kontrollstelle wieder. Rainer bestätigt unsere Ankunft und erzählt, dass noch zehn Fahrer unterwegs sind. Erst mal eine Apfelsaftschorle, und ich bin erstaunt, wie schnell die Erschöpfung von uns abfällt.

Der Abschied geht schnell: Claudia möchte den nächsten Zug nach Mannheim bekommen, also holen wir unsere Rücksäcke und steigen für drei Kilometer zum Bahnhof noch einmal auf die Räder. Claudia sagt: 200 Kilometer sind genug. Ich sage: Mehr!