Samstag, 21. März 2015

Der Ritt auf den Vulkan

Das Jahr 2014 ist abgeschlossen. Nach einer aufregenden Zeit---ein Sohn geboren, eine Ehe geschlossen, zwei Doktorarbeiten geschrieben---geht es nun also endlich wieder auf Reisen. Zwei Monate gemeinsame Elternzeit verspricht der Staat für unsere kleine Familie. Eigentlich wollten wir nicht weit weg fahren; was kann man sich mit einem Säugling erlauben? Und nun geht es nach Hawai'i.

Hawai'i: Das tropische Paradies, Urlaubsinsel der Amerikaner, Wellenbrecher im Pazifik, Naturparadies, Vulkanwunderwelt.

In diesem meinem ersten Urlaub mit eigener Familie wurden mir zwei freie Tage versprochen. Also nichts wie rauf auf den Vulkan, den Haleakala auf der Insel Mau'i. Zuletzt vor etwa 500 Jahren ausgebrochen, weist der ruhende Schildvulkan einen enorm großen Krater von vielen Kilometern Durchmesser auf. Nach einem Blick in selbigen würde man aber auch glauben, dass der Haleakala vor einigen Jahren noch heißes Gestein gespuckt hat. Schildvulkane blubbern Lava aus und wachsen dadurch gemächlich und gleichmäßig, so dass man den Haleakala vom Strand aus betrachtet auf ein paar läppische hundert Meter schätzt. Weit gefehlt---der Haleakala bringt es auf 3.055 Meter.

Den Amerikanern sei Dank führt ein Highway bis auf den Gipfel. Von Meeresniveau lässt es sich also auf asphaltierten Straßen auf 3.000 Meter klettern. Fix ein Rennrad gemietet, die wohlweislich eingepackten Radklamotten übergeworfen, zwei Wasserflaschen und ein Rücklicht dazu ergattert, Wecker auf 4 Uhr gestellt, und los geht's. Der Blick aus dem Fenster zeigt Unwetter, Stürme, tropischen Regenguss. Nach einer Portion Oatmeal kann ich mich aufraffen. Nach dem ersten Teilstück auf der regennassen Küstenstraße kommt die flache Anfahrt über den breiten Highway. Auf dem Radweg spiegelt sich das Fernlicht der Autos, ich kann kaum geradeaus fahren. Dort ramme ich mir dann auch prompt einen Dorn in den Hinterreifen. Nach einer knappen halben Stunde Flickpause in der nassen Dunkelheit kann mich nichts mehr schocken.

Weiter geht's. Nach dem Abzweig an der Zuckermühle beginnt langsam die Steigung durch die Zuckerrohrfelder. Es dämmert, aber Wolken und Morgennebel verhüllen die Sicht auf den Berg. Das erste Etappenziel ist die Kula Lodge auf 1.000 Höhenmetern. Um den Highway zu meiden, weiche ich auf kleine Ortsstraßen aus, die sich in furchtbar steilen Rampen den Fuß des Berges hinaufziehen. Um 8 Uhr - pünktlich zum Frühstück - ist der erste Teil geschafft. Eine Portion Süßkartoffeln mit viel Knoblauch ist die Belohnung zum zweiten Frühstück. Hier gibt es auch die erste von zwei Gelegenheiten, die Wasserflaschen nachzufüllen.

Gestärkt, aber nicht mehr ganz so frisch in den Beinen, geht es in den weiteren Anstieg. Ein Schild kündigt den Nationalpark an mit dem Hinweis, dass es auf den nächsten 22 Meilen kein Benzin und keine Verpflegung gibt. Hier beginnt nun der eigentliche Anstieg. Die Straße zieht sich in weiten Kehren den flachen Bergrücken empor. Zuckerrohrfelder und bunte Gärten hinter mir lassend, durchquere ich zunächst einen Eukalyptushain. Die Steigung ist gleichmäßig, die Kehren sehr großzügig gezogen, so dass der Amerikaner bequem mit 30 Meilen durch die Kurven rauschen kann. Ein leichter Wind und die stärker werdende Sonne sind Vorboten dieses Wintertages. Schnell finde ich einen gleichmäßigen Tritt im niedrigen, ja vielleicht im niedrigsten Gang. Die Kraft muss schließlich bis oben reichen.

500 Höhenmeter weiter gibt es eine Pinkelpause mit Regenbogen, und es fährt sich schon nicht mehr so leicht an. Mit zunehmend karger Vegetation erreiche ich mit dem Eingang zum Nationalparks auf 2.000 Meter Höhe das zweite Etappenziel. Ich fahre an der Autoschlange vorbei und zeige am Kassenhäuschen mein Ticket vom Vortag. Die nächste Station ist das Besucherzentrum, wo ich meine Wasserflaschen auffüllen kann. Bis dahin sind es allerdings noch 200 Höhenmeter.

Die ziehen sich nun allerdings. Zur Höhensonne gesellt sich hier schon ein ordentlich pfeifender Wind aus südwestlicher Richtung. Am Besucherzentrum angekommen brauche ich eine längere Pause. Nach Bananen und Riegeln könnte ich noch etwas mehr Energie vertragen. Das einzige käufliche Lebensmittel sind gesalzene Macadamianüsse zu gepfefferten Preisen. Her damit!

Nun zeigt der Berg sein Gesicht und die eigentliche Prüfung beginnt. Der Wind stürmt mit etwa 40 Meilen in der Stunde aus Südwesten heran, und jede zweite Kehre ist genau nach Südwesten ausgerichtet. Hier quäle ich mich gegen Sturm und Steigung. Nur der Gedanke an die nächste Kehre mit formidablem Rückenwind lässt mich beim Schieben die Fassung bewahren. Diese sind dann wirklich eine Entschädigung, ich fliege nahezu ohne Treten den Hang hinauf. So wechselt sich Sturmkehre mit Flugkehre ab, und mühsam erklettere ich den Haleakala.

Der größte Motivationskiller ist natürlich, dass ich am Vortag schon mit dem Auto auf dem Gipfel war. Ich weiß schon, wie fantastisch es dort aussieht---und das nimmt die Spannung. Als die 3.000 Höhenmeter geknackt sind, steht zwischen dem Gipfel und dem Radler nur noch ein relativ flacher Straßenabschnitt, der schnurgerade nach Südwesten zeigt. Gegen den Wind! Am Kalahaku-Aussichtspunkt beschließe ich den Tag, ziehe meine Jacke und Handschuhe an und wende das Rad in die Talfahrt.

Die Abfahrt zieht sich. Jede zweite Kehre ist ein Genuss mit Rückenwind, bei den anderen muss ich mich nach unten kämpfen. Einige Zeit später treffe ich an der Kula Lodge auf André, der mich einsammelt. Ich bin zufrieden mit dem Aufstieg, und dem verpassten Schnappschuss mit dem Rad auf dem Rande des Vulkans trauere ich nicht lange hinterher.

Mit André bestreite ich ein paar Tage später auf der Insel Hawai'i dann den nächsten Aufstieg. Hier sind die Vulkane noch etwas jünger, aktiver, und höher. Unser Vorhaben ist der Aufstieg auf den Mauna Loa, den etwas niedrigeren der beiden 4.000er auf Big Island.


Wir bestücken spät abends den SUV mit Bergausrüstung und Bettdecken und fahren über die Sattelstraße zwischen den beiden Bergen zu dem kleinen Sträßlein, das sich über Lavageröll zum Wetterobservatorium auf 3.300 Meter Höhe am Hang des Mauna Loa befindet. Die Nacht verbringen wir im überaus geräumigen Chevrolet Suburban unter einem nie gesehenen Sternenhimmel.

Mit der Morgendämmerung steigen wir aus und ziehen die Wanderschuhe an. Vom ersten Meter an zieht sich ein kaum sichtbarer Wanderweg über Schotter und Geroll nach oben. Der Gipfel ist nicht zu sehen---der Berg ist einfach zu flach. Die Wanderung ist ein Erlebnis, auch wenn weit und breit nichts als Lavaschotter zu sehen ist. Oben stehen wir dann unter brennender Sonne, im aufziehenden Wind, am Rand des Kraters. Mein erster 4.000er.

Die Krönung wäre natürlich eine Fahrt mit dem Rad auf den 4.205 Meter hohen Gipfel des Mauna Kea. Dort wurde tatsächlich eine Straße bis auf den Gipfel gebaut, um die Zufahrt zu den Observatorien zu ermöglichen. Allerdings ist sie auf den obersten 1.400 Höhenmetern nicht asphaltiert und sehr steil. In Kombination mit der geringen Höhenluft strahlt diese Besteigung mit dem Rad einen sehr großen Reiz aus. Werde ich noch einmal nach Hawai'i zurückkehren?